Samstag, 21. Januar 2012

Von Nigeria nach Benin

Da nun klar war, dass Nigeria ab Montag den 9. Jänner bestreikt werden würde, machte ich mich am Sonntag davor vom Acker. Aus Abuja rauszukommen, war aber gar nicht so einfach. So fuhr ich eine Stunde lang kreuz und quer auf den Stadtautobahnen rum, bis ich endlich die richtige Abfahrt gefunden hatte. Innerhalb der Stadt war Abuja ja die Ausnahme von der Regel, dass es in Nigeria keine Straßenschilder gibt. Sobald man aber auf einen der sogenannten „express highways“ gelangte, gab es keine Schilder mehr. Mein Kompass half auch nicht viel, da man zum Beispiel, um die Abfahrt nach Norden zu finden, erst Richtung Osten fahren musste. Und, solche „insider“-Informationen hatte ich als Ausländer natürlich nicht. Trotzdem fand ich dann aber nach einer Stunde meine Straße nach Suleja, von wo aus ich über Bida nach Mokwa fahren wollte. Ich schreibe „fahren wollte“, weil ich kurz nach Suleja eine Kreuzung übersehen haben muss. Deshalb fuhr ich vorerst mal Richtung Norden nach Minna, um dann über eine andere Straße zurück nach Bida zu gelangen. Als ich in Bida ankam, war es aber schon später Nachmittag, weshalb ich mich entschied meinen ersten Streiktag eben in Bida zu verbringen. Abgesehen von dem „Sich Verfahren“ gab es noch einen zweiten Grund, warum ich mit ziemlicher Verspätung in Bida ankam. Ich befand mich inzwischen im „Niger State“, eine von vier Regionen, in denen aufgrund der Anschläge von Boko Haram der Ausnahmezustand ausgerufen worden ist. In der Realität bedeutete das, dass ich mich im 15-Minuten-Takt von einer Militärkontrolle zur nächsten vorarbeitete.

Am Montag begann dann der Streik, was in Bida bedeutete, dass diese Kleinstadt einfach menschenleer war. Obwohl ich den Grund für den Streik absolut nachvollziehen konnte, war die ganze Aktion für mich doch eher unangenehm. So hatte ich mir bei der Ankunft in Bida einen Nagel eingefahren, weshalb ich mein Auto am Montag in der Früh mit einem platten Hinterreifen vorfand. Also, musste ich in der Geisterstadt nach einem Mechaniker suchen, der bereit war den Streik zu brechen. Dieses Vorhaben war dann gar nicht so schwierig, weil ab dem späteren Vormittag sich mehr und mehr Leute Gedanken darüber machten, was sie am Abend essen sollten, wenn sie den ganzen Tag streiken und damit kein Geld verdienen. Ab Mittag begann dann das Leben zu einer gewissen Normalität zurückzufinden: mein Reifen wurde geflickt, ich konnte Diesel tanken (Die Tankstellen haben schon vorausahnend Treibstoff in große Kanister abgefüllt, und anstatt vorne an der Zapfsäule zu tanken, wurde einfach hinter der Tankstelle der Diesel aus den Kanistern ins Auto gepumpt.) und ich konnte einkaufen (Die Türen der Greisler waren zwar nach wie vor geschlossen, aber eben nicht mehr zugesperrt!). Am Nachmittag tauchten dann aber die Gewerkschaftsfunktionäre auf und setzten dem Treiben ein Ende – vorerst. Denn, als es dunkel wurde, und jene, die nichts sehen sollten, nichts mehr sehen konnten, wurden wieder alle Geschäfte geöffnet. Trotzdem, als ich in den Abendnachrichten vernahm, dass der erste Streiktag sowohl in Lagos als auch in Kano Todesopfer forderte, entschied ich mich Nigeria unverrichteter Dinge (Es gab noch viele Orte, die ich mir eigentlich ansehen wollte.) zu verlassen und in den Benin überzusetzen. Am Dienstag früh ging es dann los. Der Plan war nach Mokwa zu fahren und von dort auf dem Highway Richtung Süden (Jebba), um dann über Abeokuta (Ich wollte es vermeiden in den Großraum Lagos zu geraten.) an die Grenze zu gelangen. Naja, das war mein Plan und am Dienstag in der Früh wusste ich noch nicht, dass meine Ausreise aus Nigeria zum großen Abenteuer werden sollte. Als ich mich vom Osten der Stadtgrenze von Mokwa näherte, stand ich plötzlich vor einer Straßensperre. An dieser Straßensperre gab es weder Polizei noch Militär, dafür aber eine Horde von ca. 20 bis 30 mit Holzprügeln bewaffneten Jugendlichen. Naiv wie ich bin, wendete ich nicht sofort das Auto, sondern stieg aus, um mit den Jugendlichen in Verhandlungen zu treten. Nach etwa 30 Minuten hatte ich die ganze Mannschaft beruhigt und erhielt, ohne irgendwelche Schmiergelder zu bezahlen, die Sondererlaubnis zu passieren. Als dann aber die Straßensperre für mich geöffnet wurde und ich durchfahren wollte, warfen sich zwei Jugendliche, die es sich offensichtlich anders überlegt haben, vor mein Auto. Also wendete ich schlussendlich doch und fuhr zurück. Durch die Straßensperre waren die Zufahrten nach Süden und nach Westen versperrt. Zurück in den Osten zu fahren, wäre kontraproduktiv gewesen; also blieb mir nur der Weg Richtung Norden (Grenzgebiet Nigeria/Niger), was ich ursprünglich vermeiden wollte. Mein Weg führte nun von Mokwa über Kontagora nach Yawri. In Yawri sollte es laut meiner Karte wieder eine Straße geben, die Richtung Westen, also in den Benin reichte. Leider gelangte ich aber wieder nicht bis zu dieser Zufahrt zu der nach Westen führenden Straße, da vor der Stadtgrenze von Yawri wieder eine Straßenblockade errichtet worden war. Diese Sperre wurde leider nicht von grölenden Jugendlichen kontrolliert, sondern von ganz biederen Gewerkschaftsfunktionären, mit denen ich mich aber einfach zum Spaß trotzdem noch angelegt habe – ja was wäre Afrika ohne diese schönen und vor allem hitzigen Diskussionen. Etwas ratlos fuhr ich dann zurück in die letzte Ortschaft, durch die ich auf meinem Weg nach Yawri gefahren bin. Und wie fast immer, wenn du in Afrika vor einem unlösbaren Problem stehst, ergibt sich irgendwie eine Lösung. Ich wurde darüber informiert, dass ich nicht unbedingt nach Ywari fahren musste, um auf diese ominöse Straße Richtung Benin zu gelangen. Es gab offenbar auch eine Sandpiste, die von den Einheimischen als Abkürzung verwendet wird, um eben nicht nach Yawri fahren zu müssen, aber trotzdem in die Dörfer entlang der Grenzstraße zu gelangen. Folglich machte ich mich wieder auf den Weg. Ich fand diese Sandpiste sofort und gelangte nach Semale, wo ich wieder auf den offiziellen Teil der Grenzstraße auffuhr. Von Semale ging es dann nach Zemari, das am Niger liegt. Meine Freude darüber zum ersten Mal in meinem Leben den Nigerfluss zu sehen, hielt aber nicht lange an. Ich musste diesen Fluss ja auch überqueren, und eine Brücke war weit und breit nicht zu sehen. Auf der anderen Uferseite gab es zwar eine Autofähre, aber Nigeria befand sich ja im Streik. Es wurde mir dann empfohlen nach Yawri zurück zu fahren, um dort zu übernachten. Mein Hinweis darauf, dass die Situation am nächsten Tag ja keine andere sein wird, wurde kopfnickend akzeptiert. All diese Diskussionen waren aber recht schwierig, da vielleicht einer von zehn Englisch redete und vielleicht einer von dreißig Englisch verstand! Mein häufigster Ausspruch an diesem Abend: „No Hausa!“. Die häufigste Antwort, die ich bekam: „No English“! Auf jeden Fall beschloss ich, das Flussufer nicht mehr zu verlassen, bis ich auf die andere Seite übergesetzt habe – manchmal muss man einfach mit dem Kopf durch die Wand. Und diese Entscheidung sollte sich noch auszahlen, denn gegen 18:00 ging die Sonne langsam unter, und ich durfte einen unglaublich kitschig-schönen Sonnenuntergang mitten im Nirgendwo am Ufer des Nigers erleben.

Im Laufe des Abends erfuhr ich dann, dass die Fährleute eigentlich unfreiwillig streikten. Anscheinend kamen die Gewerkschaftsfunktionäre regelmäßig vorbei, um zu kontrollieren, ob auch wirklich nicht gearbeitet wird. Und wie schon in Bida, musste ich auch hier in Zemari feststellen, dass dieser Streik für einen Großteil der NigerianerInnen eher belastend war. Im Gegensatz zu den Großstädten wie Lagos und Abuja, wo ein Großteil der Streikenden am Monatsende ganz normal seinen Monatslohn in Empfang nehmen wird, wussten die Menschen im Rest des Landes nicht, was sie und ihre Familien am Abend essen sollten, wenn sie untertags nicht das entsprechende Geld für Nahrungsmittel verdienten. Die Gewerkschaftsfunktionäre, mit denen ich schon am Nachmittag in Yawri eine nette Diskussion hatte, hatten „vollstes Verständnis“ für dieses Problem und drohten jeden Streikbrecher ausnahmslos vors Gericht zu stellen. Das schöne ist, dass es egal ist, wo man ist, das Phänomen Blödheit ist immer und überall anzutrefen: Ein Hausa, der sein ganzes Leben nur Rinder gehütet hat und eventuell in seinem ganzen Leben noch nie in einem Auto gesessen hat, soll nun einen Benzinpreisstreik unterstützen, anstatt seine Rinder und Esel zu den entsprechenden Wasserstellen zu führen. Wie auch immer, es wurde Nacht und ich wartete noch immer – sehr zur Freude der Kinder von Zemari, die mich schon seit meiner Ankunft in diesem Dorf auf Schritt und Tritt begleiteten. Um 21:30 waren dann Motorengeräusche auf dem Niger zu hören und kurze Zeit später fuhr ich, gemeinsam mit 4 weiteren Autos/Lastwägen, die dieselbe abwartende Strategie verfolgten, auf die Nigerfähre auf. Diese Nigerüberquerung war ein weiteres spannendes Erlebnis: nachts auf einer unbeleuchteten Fähre (man musste sich ja immer noch versteckt halten) den Niger zu überqueren. Ich selbst verlor mich im afrikanischen Sternenhimmel und überlegte, wie oft ich diesen Fluss auf meiner Reise durch Westafrika wohl noch überqueren werde.

Sonnenuntergang am Niger
Auf der anderen Seite angekommen, begann das nächste Abenteuer. Auf der Westseite des Niger warteten ca. 30 komplett überladene Lastwägen auf die Fähre. Es war gerade Erntezeit in Nigeria! Die Fähre konnte maximal 4 Lastwagen pro Fahrt mitnehmen. Folglich wurde natürlich gedrängelt, was ging. Dieses Vordrängeln führte aber dazu, dass die Zu- und Abfahrt für die Fähre mit Lastwägen verstopft war. Obwohl ich eigentlich auf der Fähre zwischen den anderen Autos und LKWs eingezwängt war, wurde so umrangiert, dass ich als erster abfahren „durfte“. Grund dafür war, dass ich anscheinend das beste Auto hatte und ich deshalb für alle einen Weg durch den Niger finden sollte, um auf das Ufer aufzufahren. Doch etwas unsicher ließ ich mein Auto in den Niger „gleiten“, kämpfte mich durch die angrenzenden „Sümpfe“ und fand mit Hilfe der unzähligen Einweiser (die LKW-Fahrer hatten ja sonst nichts zu tun) einen Weg auf die Straße. Im Nachhinein war ich froh als erster gefahren zu sein, da der LKW nach mir in einem der Sumpflöcher, das ich noch mit viel Mühe aber dennoch erfolgreich durchquerte, steckenblieb – und das alles mitten in der Nacht. Auf der andern Seite angekommen wurde ich informiert, dass ich schon vom König von Agwara erwartet werde. Also übernachtete ich halt schon wieder bei einem König – ich will hier nicht arrogant erscheinen, aber schön langsam verlor diese ganze Königs-Sache seinen Reiz.

Obwohl ich doch etwas erschöpft war, ging es am nächsten Tag sehr früh weiter. Ich wollte unbedingt in den Benin; auch deshalb, weil ich jetzt in einer sehr abgelegenen Region unterwegs war und nicht mehr mitbekam, wie sich die Situation im Rest des Landes entwickelte. Von Agwara sollte es dann über die Sandstraße in die Republik Benin, genauer gesagt nach Ségbana gehen. Von Agwara nach Ségbana sind es ungefähr 135 Kilometer. Ich brauchte für diese Strecke über 6 Stunden, weil ich mich mal wieder verfuhr. 
Wahrscheinlich eine der wichtigsten Kreuzungen in Nigeria, an der ich mich aufgrund der Autospuren auch nicht verfahren habe.
Das „Sich-Verfahren“ hatte aber in diesem Fall ganz andere Konsequenzen. Das Problem war nämlich nicht, dass ich einfach in die falsche Richtung fuhr; das Problem war, dass es keine Straße, sprich keine Sandpiste mehr gab. Deshalb fuhr ich dann eben stundenlang im nigerianischen Busch herum, auf der Suche nach der beninischen Grenze. Die Suche wurde wiederum durch zwei weitere Probleme erschwert: Erstens, ein schon bekanntes Problem, wenn ich auf Menschen traf und versuchte diese nach dem Weg zu fragen, musste ich den Begriff nigerianisch-beninische Grenze öfters pantomimisch darstellen, da sich keine gemeinsame Sprache finden ließ. Wenn sich eine gemeinsame Sprache fand, freute ich mich ungemein, wenn dies Französisch war und eben nicht Englisch, wissend, dass ich auf dem richtigen Weg war. Das zweite Problem war eigentlich kein Problem, sondern nur eine Frage meiner eigenen Bequemlichkeit. Seit ich Gabun verlassen habe, habe ich schon dutzende male nach dem Weg gefragt. Dafür musste ich bis zu diesem Tag einfach nur rechts ranfahren, Fenster runterlassen und nach dem Weg fragen. Im Grenzgebiet zwischen Nigeria und Benin funktionierte das nicht mehr, weil der Großteil der wenigen Menschen, die ich antraf auf Kamelen unterwegs war, und ich im Auto sitzend, wissend, dass meine pantomimischen Kenntnisse gleich wieder gefragt sind, die auskunftgebende Person einfach nicht sehen konnte. Also musste ich jedesmal aussteigen, um nach dem Weg zu fragen, und meinen „Wo-ist-den-bloß-die-Grenze-Tanz“ für Kamel und Reiter vorführen. Während der Fahrt war ich doch recht angespannt, auch deshalb, weil meine Treibstoffreserven langsam dem Ende zugingen (also auch jene Reserven, die ich hinten im Laderaum in Kanistern mitführte!). Heute denke ich schmunzelnd an diesen Tag zurück; auch wie ich über Fahrad-/Mopedwege in die ersten beninischen Dörfer gelangte und mein Auto zwischen den Rundhütten durchmanövrierte. In Ségbana angelangt, musste ich feststellen, dass die Stadt viel kleiner war, als ich es mir ausgemalt hatte. Als ich bei der Polizei vorstellig wurde, wollte ich zuerst auf die Frage, warum ich nicht den offiziellen Grenzübergang benutzt habe, um meinen Einreisestempel zu erhalten, einfach nicht antworten, um die Contenance nicht zu verlieren. Ich atmete dann aber einfach einmal tief durch und erzählte von meiner Geschichte „auf der Suche nach der Grenze“. Und bereits in Ségbana bei der Polizei konnte ich über meine Strapazen lachen. Leider konnte die Polizei in Ségbana ihren Einreisestempel nicht finden, weshalb mein Pass nun einfach eine handschriftliche Notiz aufweist, dass ich am 11. Jänner in den Benin eingereist bin und eben bei der Polizei in Ségbana vorstellig wurde. Um die Zollangelegenheiten zu regeln, sprich meinen Passagierschein für den Benin zu lösen, wurde ich von der Polizei nach Kandi geschickt, wohin ich noch am selben Tag fuhr, um dort festzustellen, dass es dort gar keine Zollbehörde gibt. Am nächsten Tag wurde dann vor allem geschlafen, um anschließend über Bembéreké nach N'Dali zu fahren, wo laut Gendarmerie von Kandi der Zoll sitzt. Ich habe die Zollbehörde dann auch gefunden, um zu erfahren, dass sie für meinen Passagierschein nicht zuständig sind. Folglich fuhr ich weiter nach Parakou, wo mein Auto schließlich legalisiert wurde und ich einen neuen Satz Reifen kaufte. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich seit meiner Ankunft in Nigeria Reifen wechselte und reparieren ließ. Aber nachdem ein weiterer Reifen zwischen Ndali und Parakou von einem Stein regelrecht zerfetzt wurde, entschied ich mich einen neuen Satz zu kaufen. Zum Thema Reifenwechseln kann ich nur sagen, dass ich bisher noch nie weitergekommen bin, als die Schrauben zu lockern und den Wagenheber anzusetzen. Spätestens dann gab ich allen Diskussionen darüber, dass Reifenwechseln keine Arbeit für einen Weißen ist, nach und übergab die Arbeit an einen der Schaulustigen. Von Parakou ging es über Tchaourou, Savé, Dassa-Zoumé, Paouignan und Bohicon in die Hauptstadt Cotonou, wo mein Auto seit einer Woche in der Garage ist. Ursprünglich wollte ich den Kühler wechseln. Da ich in Cotonou aber keinen Originalkühler gefunden habe, wurde dieses Problem vorerst nicht behoben. Dennoch gab es genug zu tun: Radaufhängungen (vorne links und rechts) sowie Klimaanlage. Das Problem mit der Klimaanlage hätte mir eigentlich egal sein können, aber der Gedanke an Länder wie Mali und Mauretanien überzeugte mich dann doch, das Problem beheben zu lassen. Nächste Woche geht es dann zurück in den Norden dieses Landes, um mich anstatt den Autoproblemen den Nationalparks zu widmen.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hi Markus! Danke, dass du deine Erlebnisse mit uns teilst! :-) Seeeeehr interessant und spannend!! glg aus dem schönen Tirolerland - Regine